Ein Urteil, das Rassismus fördert

von am 05.07.2023

US-Universitäten dürfen „race“ bei der Auswahl ihrer Studierenden nicht mehr berücksichtigen. Warum das Urteil des Supreme Courts nicht für mehr Leistungsgerechtigkeit sorgt.

von Teresa Emmert

Studiengebühren, exzellente Noten und Aufnahmetests: Die Hürden, um an einer begehrten US-amerikanischen Universität zu studieren, sind hoch. Geht es allein nach diesen Kriterien, sind weiße und asiatisch-stämmige Amerikaner:innen klar im Vorteil. Um gesellschaftliche Nachteile bei ähnlich qualifizierten Bewerber:innen auszugleichen, konnten Hochschulen deshalb bisher auch den ethnischen Hintergrund bei der Studienplatzvergabe berücksichtigen, begründet auf der „Affirmative Action“.

Die „Affirmative Action“, eine Politik zur Förderung von Vielfalt und Chancengleichheit, hat seit ihrer Einführung in den USA in den Sechzigerjahren jedoch eine kontroverse Debatte entfacht. Seit diese 1961 in Kraft trat, arbeiten besonders konservative und rechte Kräfte dagegen. Jetzt haben sie zum Teil gewonnen: Der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof der USA, hat die „Affirmative Action“ verboten. Er gab damit Klagen gegen die private Elite-Universität Harvard und die staatliche University of North Carolina statt.

Wie begründet der Supreme Court sein Urteil?

Die „Affirmative Action“ verstoße gegen die Verfassung, urteilte das Oberste Gericht der USA. In seiner Urteilsbegründung erklärte der Vorsitzende Richter John Roberts: Studierende müssten auf Grundlage ihrer Erfahrungen als Individuen behandelt werden, nicht auf Grundlage von Hautfarbe.

Viele Universitäten hätten viel zu lange genau das Gegenteil getan. Dabei seien sie fälschlicherweise zu dem Schluss gekommen, dass der „Prüfstein für die Identität eines Menschen“ dessen Hautfarbe sei. Die Programme der beklagten Universitäten seien gut gemeint und in gutem Glauben umgesetzt, aber sie erfüllten nicht die Kriterien, so Roberts.

Das Urteil fiel jedoch nicht einstimmig, sondern mit der konservativen Mehrheit am Supreme Court von sechs zu drei Stimmen. Die drei liberalen Obersten Richterinnen kritisierten es in abweichenden Meinungen scharf. Richterin Sonia Sotomayor bezeichnete die Annahme, die Universitäten müssten „farbenblind“ bei der Bewerberauswahl sein, als „oberflächlich“. Denn die US-Gesellschaft sei weiterhin tiefgreifend segregiert.

Wer hatte gegen „Affirmative Action“ geklagt und warum?

Zwei asiatisch-stämmige Studierende hatten die Universitäten wegen Diskriminierung verklagt. Calvin Yang ist einer der Kläger. Er wollte nach Harvard – und wurde trotz Bestnoten und beeindruckender Vita nicht genommen. Stattdessen gehört er nun zu den über 20.000 Studierenden, die mit Hilfe der Organisation „Students for Fair Admissions“ gegen das aus ihrer Sicht diskriminierende System geklagt haben. Zwar gibt es in Harvard mehr als doppelt so viele asiatische wie schwarze Studierende. Aber es könnten noch viel mehr sein, glauben Yang und seine Mitkläger, wenn Afro-Amerikaner:innen mit schlechteren Leistungen nicht bevorzugt würden.

Die Kläger wurden von der rechtskonservativen Vereinigung „Students for Fair Admissions“ („Studierende für eine gerechte Zulassung“) unterstützt. Im Fall der privaten Harvard-Universität sah die Organisation asiatisch-stämmige Personen diskriminiert; im Fall der staatlichen Universität von North Carolina zusätzlich auch weiße Amerikaner:innen. Hinter den „Students for Fair Admissions“ steht der Aktivist Edward Blum. Er ist Vorsitzender der Vereinigung und zieht schon seit Jahren gegen „Affirmative Action“ juristisch zu Felde, die er als „ungerecht, unnötig und verfassungswidrig“ bezeichnet.

Nach dem Urteil des Supreme Court sprach er von einem „Sieg des Rechtsstaats“:

„Mit dieser Entscheidung kehren wir zum rechtsstaatlichen Prinzip der Farbenblindheit zurück. Die Hautfarbe spielt keine Rolle beim Zusammenhalt unserer multiethnischen Nation. Die diskriminierenden Zulassungspraktiken in der Vergangenheit haben unsere Bürgerrechtsgesetzgebung untergraben.“ – Edward Blum, „Students for Fair Admissions“

Tatsächlich hat Harvard für das Abschlussjahr 2027 mit 29,9 Prozent eine Rekordzahl asiatisch-stämmiger Amerikaner:innen aufgenommen. Gleichzeitig ging der Anteil Schwarzer (15,3 Prozent) und Latinos (11,3 Prozent) zurück.

„Affirmative Action“, so Kritiker:innen von jeher, sei selbst rassistisch. Ein Argument, das Gegner:innen von Fördermaßnahmen häufig vorbrachten, wird auch von manchen Studierenden an der Universität von North Carolina geteilt: So sei es „zynisch“ anzunehmen, Schwarze würden es nur aufgrund „übergroßer Vorteile“ an die Universität schaffen, so der studentische Vertreter der Republikaner, Jacob James.

Befürworter:innen argumentieren hingegen, dass die „Affirmative Action“ die Universitäten in den vergangenen Jahrzehnten um einiges vielfältiger gemacht hat. Doch die Einrichtungen betonten auch stets, dass Herkunft und Ethnie nur eines von vielen Kriterien bei ihrer Auswahl sei und alle Aspekte einer Bewerbung zum Tragen kämen.

Die Motive hinter den nun erfolgreichen Klagen sieht die Historikerin Britta Waldschmidt-Nelson auch im politischen Klima der USA begründet. Spätestens seit der Präsidentschaft von Barack Obama sei das Land „unglaublich polarisiert“. Viele weiße Konservative fühlten sich „in die Ecke gedrängt“ – auch aufgrund der höheren Geburtenrate unter Minderheiten, die langsam zur Mehrheit würden. Aus der Befürchtung heraus, eigene Privilegien zu verlieren, setze man sich „zur Wehr“, so die Wissenschaftlerin.

Ein Rückschritt bei der Förderung von Vielfalt und Chancengleichheit

Die „Affirmative Action“ wurde als Antwort auf Jahrzehnte der Diskriminierung und Ungleichheit eingeführt. Sie zielt darauf ab, Minderheitengruppen, die historisch benachteiligt waren, Zugang zu Bildung, Beschäftigung und anderen Chancen zu ermöglichen. Denn in ihren Bildungskarrieren sind People of Color bis heute strukturell benachteiligt, auch weil sie häufig in ärmeren Stadtvierteln leben. Schulen in den USA werden über die Grundsteuer finanziert. In Gegenden mit geringerem Steueraufkommen fehlt es demnach oft an Geld für schulische und außerschulische Aktivitäten. Faktoren, die für eine Bewerbung an einer Spitzen-Universität mit entscheidend sind.

Das Urteil des Supreme Courts wird den strukturellen Rassismus in den Vereinigten Staaten weiter fördern. Denn es ist leider so: Wer in den USA an hoch angesehenen Universitäten studiert, hat die größten Chancen, danach in einflussreichen Positionen zu arbeiten. 40 Prozent der Kongressabgeordneten, die 2020 gewählt wurden, sind Harvard-Absolvent:innen. Und wer im kalifornischen Stanford lernt, hat bessere Möglichkeiten, danach einen guten Job im Silicon Valley zu finden. Wenn weniger schwarze, hispanische oder indigene Studierende an diese Universitäten kommen, werden sie systematisch und langfristig aus den Räumen ausgeschlossen, in denen gesellschaftliche Entscheidungen getroffen werden.

Wer die Entscheidung des Supreme Courts befürwortet, wird sagen: Die Besten werden sich immer durchsetzen, „race“ spielt in der Leistungsgesellschaft keine Rolle. Dass das falsch ist, sieht man zum Beispiel in Kalifornien. Schon 1996 hatte sich dort eine Mehrheit der Bevölkerung in einem Referendum für die Abschaffung der „Affirmative Action“-Politik an staatlichen Universitäten ausgesprochen. Danach ist die Zahl schwarzer, indigener und hispanischer Studierender in Berkeley und der University of California um die Hälfte gesunken.

Gerechtigkeit und Chancengleichheit in Frage gestellt

Die Abschaffung der „Affirmative Action“ stellt die grundlegenden Prinzipien von Gerechtigkeit und Chancengleichheit in der Bildung in Frage. Indem bestimmten Bevölkerungsgruppen der Zugang zu Elitehochschulen erschwert wird, werden bereits bestehende Ungleichheiten verstärkt. Student:innen, die aufgrund ihrer sozioökonomischen Hintergründe oder ethnischer Zugehörigkeit bereits benachteiligt sind, haben weniger Möglichkeiten, ihre Bildungsziele zu erreichen und von den Vorteilen einer erstklassigen Ausbildung zu profitieren.

Qualität der Bildung und Vorbereitung auf eine diverse Gesellschaft

Die Vielfalt an Hochschulen ist nicht nur ein ethisches Gebot, sondern auch von entscheidender Bedeutung für die Qualität der Bildung und die Vorbereitung der Studierenden auf eine zunehmend diverse Gesellschaft. Der Austausch von Erfahrungen, Perspektiven und Ideen zwischen Studierenden aus verschiedenen Hintergründen und Lebenserfahrungen fördert kritisches Denken, Empathie und interkulturelle Kompetenz.


Kommentare

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.


Campus Crew

Jetzt läuft
TITLE
ARTIST