„Beide können es schaffen, wieder Präsident zu werden – die Chance steht 50 zu 50“

von am 02.07.2024

von Anna-Maria Mugler

Gudrun Engel ist Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios in Washington. In ihrem Vortrag an der Universität Passau am vergangenen Dienstag hat sie einen kritischen Blick auf das stark privat finanzierte politische System der Vereinigten Staaten von Amerika geworfen. In einem Interview mit der CampusCrew gibt die Auslandskorrespondentin Einsicht in die mediale Präsentation des diesjährigen US-Wahlkampfes:

CC: Deutsche Bürger haben die Möglichkeit, sich vor Wahlen umfangreich über die antretenden Parteien und deren Wahlprogramme zu informieren und werden politisch vor allem durch Wahlwerbung, Nachrichten wie die Tagesschau, Dokumentationen und Diskussionsrunden beeinflusst. Wie ist das in den Vereinigten Staaten?

Engel: In den USA gibt es mit CNN und Fox zwei Angebote, die rund um die Uhr Nachrichten senden. Für uns in Deutschland ist das etwas ungewöhnlich, weil die deutsche Medienlandschaft etwas Vergleichbares nicht besitzt. Wenn die amerikanischen Bürger möchten, haben sie also die Möglichkeit, sich rund um die Uhr mit politischen Details auseinanderzusetzen und unfassbar viele Informationen einzuholen. Dabei muss man natürlich immer bedenken, dass CNN eher linksliberal und Fox rechts-konservativ ist.

CC: Wenn der eine Sender eher demokratische und der andere republikanische Tendenzen aufweist, entstehen zwei Pole, die den Fokus ihrer Berichterstattung auch unterschiedlich setzen. Gibt es trotzdem einen Trend, wer von beiden möglichen Präsidentschaftskandidaten – Donald Trump und Joe Biden – häufiger in den US-amerikanischen Medien zu sehen ist und stärker gefeatured wird? In Deutschland ist das ja häufig Trump.

Engel: Die ARD widmet sich vermehrt Donald Trump, weil er bei seinen Kampagnen durch die Verbreitung wilder Theorien stark auffällt und vor Gericht steht, wohingegen Biden seiner Arbeit als Präsident nachgeht, was aus deutscher Sicht wenig Nachrichtenwert generiert. Innerhalb der Kampagnen, die in den USA dann ungefähr ab September anziehen werden, bemüht man sich, beide gleichermaßen in den Fokus zu rücken. Meiner Meinung nach ist das auch ganz wichtig für die Ausgewogenheit. Beide können es schaffen, wieder Präsident zu werden – die Chance steht 50 zu 50.

CC: Wenn man nicht nur das Fernsehen betrachtet, sondern die gesamte Medienwelt in den USA – Welches Medium erachten sie als das wichtigste zur politischen Einflussnahme und Wählergewinnung?

Engel: Ich glaube, dass die sozialen Medien mittlerweile das Fernsehen überholt haben und somit eine wichtigere Rolle spielen, was nicht zuletzt daran liegt, dass der amerikanischen Fernsehmarkt darauf ausgerichtet ist, immer Abos bezahlen zu müssen. Generell fehlt ein Zugang zu Informationen, wie man ihn beispielsweise in Deutschland hat. Deshalb wird Social Media immer wichtiger, nicht zuletzt weil dort auch Kampagnen eingespielt werden können, ohne erst in einer Redaktion abklären zu müssen, was man sagen und bezahlen kann. Außerdem bieten die sozialen Medien die Möglichkeit, gezielt Inhalte für bestimmte Zielgruppen zu platzieren. Für die Kampagnen stellt das Ganze natürlich eine große Chance dar. Barack Obama hat diese Möglichkeit ja bereits 2009 umgesetzt. Für Journalisten ist es innerhalb besagter Netzwerke jedoch schwieriger, zu ihrem Publikum durchzudringen.

CC: Für wie wichtig erachten Sie speziell TikTok in diesem Wahlkampf?

Engel: TikTok ist eine Plattform, die selbstverständlich junge Leute besonders anspricht. Die derzeitige Entwicklung der sozialen Medien rückgängig zu machen, halte ich für schlichtweg unmöglich. Problematisch wird es allerdings, wenn einzelne Parteien oder Interessensgruppen einen TikTok-Auftritt ablehnen. Wenn nämlich extremistische Gruppierungen Inhalte produzieren, liberale aber nicht, stellt das eine große Gefahr für die Demokratie dar.

CC: Gibt es denn in dieser unüberblickbaren Flut aus Informationen, Meinungen und PR ein unabhängiges Organ, das die willkürliche Verbreitung von Inhalten auf Social Media kontrolliert?

Engel: Ich glaube nicht, dass sich das kontrollieren lässt. Es gibt immer wieder freiwillige Selbstverpflichtungen, immer dann, wenn das Repräsentantenhaus oder der Senat damit drohen, etwas regulieren zu wollen. In diesem Fall treten die Chefs der großen Konzerne in Washington auf und versprechen Kontrollen. Ich habe nicht den Eindruck, dass das besonders gut klappt. Ich sehe, dass sich eine Großzahl an Menschen mithilfe von alternativen Podcasts informiert, besonders im rechten Spektrum der Vereinigten Staaten. Steve Bannon ist der Host von sehr vielen dieser Podcasts und setzt diese auch gezielt ein, um wilde Verschwörungstheorien zu verbreiten und die Lüge der gestohlenen Wahl zu wiederholen. Leider glauben die meisten Konsumenten dieser Podcasts das.

CC: Offensichtlich bestehen also in Bezug auf den Medienmarkt einige Missstände in den USA.

Engel: Nicht nur einige!

CC: Sie haben in Ihrem Vortrag ja auch davon gesprochen, dass die amerikanischen Bürger aufgrund ihrer Mentalität und Vergangenheit so positiv gegenüber Problemen wie Waffenbesitz eingestellt sind. Gibt es trotzdem Möglichkeiten, diese festgefahrenen Verhaltensmuster zu lösen?

Engel: Das setzt erstmal voraus, dass Amerikaner das Gefühl haben, sie müssten aufgeklärt werden und aufgeklärt werden wollen. Das kann ich in der Form nicht erkennen. In einer idealen Welt hat man Zugang zu unabhängigen Informationen und kann sich als Resultat daraus seine eigene Meinung bilden. Viele US-Bürger finden es vielleicht mühsam, sich die Informationen zusammenzusuchen, die sie gerne hätten, haben aber nicht grundsätzlich das Gefühl, sie seien nicht aufgeklärt.

CC: Wenn sich nun doch Menschen in den USA finden, die sich bereitwillig politisch weiterbilden wollen, vor allem in Bezug auf die anstehende Präsidentschaftswahl, was sollten diese dabei beachten?

Engel: Am wichtigsten ist, dass man sich bewusst ist, wo das Medium, das man konsumiert, politisch einzuordnen ist. Da alle Medien in Privatbesitz sind, besitzen sie auch eine bestimmte Haltung. Die meisten Menschen können relativ gut einschätzen, welches Format mit welcher politischen Prägung sie gerade konsumieren, und treffen aus diesem Grund auch häufig eine sehr bewusste Entscheidung, wo sie die für sich ansprechendsten Inhalte finden.


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