Jeder dritte Mann findet Gewalt gegen Frauen akzeptabel – kann das sein?

von am 18.06.2023

Kürzlich sorgte die Umfrage „Spannungsfeld Männlichkeit“ der Nichtregierungsorganisation Plan International für Schlagzeilen in zahlreichen Medien, darunter auch bei der Tagesschau. Die Umfrageergebnisse legen nahe, dass für viele junge Männer in Deutschland misogyne Vorbilder, Ablehnung von Homosexuellen und Akzeptanz für häusliche Gewalt gegen Frauen, Teil ihres Männlichkeitsbilds sind. Doch wie aussagekräftig sind diese Ergebnisse tatsächlich?

von Teresa Emmert

Um die Schlussfolgerungen der Umfrage zu hinterfragen, ist es wichtig, die Methodik und den Kontext der Studie zu betrachten. Die Umfrage wurde online durchgeführt und basiert auf einer Selbstselektion der Teilnehmer:innen. Dies bedeutet, dass diejenigen, die an der Umfrage teilgenommen haben (1.000 Männer und 1.000 Frauen zwischen 18 und 35 Jahren), dies freiwillig taten und nicht vorher nach bestimmen Kriterien ausgesucht wurden. Daher können die Ergebnisse nicht als repräsentativ für die Gesamtbevölkerung junger Männer in Deutschland angesehen werden.

Verzerrte Wahrnehmung

Zusätzlich ist es wichtig anzumerken, dass die Fragen in der Umfrage möglicherweise eine verzerrte Wahrnehmung der Teilnehmer:innen hervorgerufen haben könnten. Die Art und Weise, wie Fragen formuliert sind, kann bewusst oder unbewusst eine bestimmte Antwortrichtung beeinflussen. Auch können soziale Erwartungen oder der Wunsch nach Provokation dazu geführt haben, dass einige Teilnehmer:innen extreme oder kontroverse Antworten gegeben haben.

Katharina Schüller, Vorstandsmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft, zufolge hätte vorher geprüft werden müssen, welchen Bias (deutsch: Verzerrung) es in der Gesamtheit des Panels gibt, um Abschätzungen darüber zu machen, wie groß sich diese Verzerrung auf die Daten auswirke. Hinzu komme, dass die Befragten des Marktforschungsinstituts nicht nur für die Teilnahme bezahlt werden, sondern auch für das Anwerben neuer Teilnehmer:innen. „Das fördert eher die Homogenität als Heterogenität in diesem Panel“, sagt Schüller (Quelle: tagesschau.de).

Die Berichterstattung

Darüber hinaus kann die Berichterstattung über die Umfrage selbst zu einer Verstärkung von Stereotypen und Vorurteilen führen. Wenn Medien pauschal von „vielen jungen Männern“ sprechen, die misogyne Vorbilder haben oder Gewalt akzeptieren, kann dies eine Stigmatisierung und Pauschalisierung der gesamten männlichen Bevölkerung zur Folge haben. Solche Verallgemeinerungen können das Männlichkeitsbild weiter verzerren und stereotype Vorstellungen verstärken.

Es ist wichtig, dass Umfragen und Studien, insbesondere solche, die kontroverse Themen behandeln, sorgfältig interpretiert werden. Einzelne Studien können keine umfassende Darstellung der gesamten Bevölkerung liefern und sollten nicht als einzige Grundlage für weitreichende Schlussfolgerungen herangezogen werden.

Faktoren

Nichtsdestotrotz ist jede Form der Zustimmung zur Gewalt gegen Frauen zutiefst besorgniserregend und sollte nicht ignoriert werden. Um das Ausmaß und die möglichen Ursachen dieser Haltung besser zu verstehen, betrachten wir zunächst verschiedene Faktoren, die zu einer solchen Einstellung beitragen können.

 

  1. Geschlechterungleichheit: In vielen Gesellschaften weltweit besteht nach wie vor eine tiefe geschlechtsspezifische Diskriminierung und Ungleichheit. Solche ungleichen Machtverhältnisse können dazu führen, dass Männer Gewalt als Mittel zur Aufrechterhaltung der bestehenden Hierarchien betrachten.
  2. Sozialisierung: Von klein auf werden Menschen durch ihre Familien, Schulen und Gemeinschaften sozialisiert. Wenn traditionelle Rollenbilder und Stereotypen in diesen Umgebungen vorherrschen, kann dies die Einstellung zur Gewalt beeinflussen. Wenn beispielsweise männliche Dominanz und Kontrolle über Frauen als akzeptabel dargestellt werden, kann dies zu einer gewalttätigen Haltung beitragen.
  3. Medieneinfluss: Die Medien spielen eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung unserer Wahrnehmungen und Einstellungen. Wenn Gewalt gegen Frauen in Filmen, Fernsehsendungen oder Musikvideos verherrlicht oder verharmlost wird, kann dies die Einstellung der Menschen beeinflussen und Gewaltakzeptanz fördern.
  4. Bildung und Aufklärung: Mangelnde Bildung und fehlende Aufklärung über geschlechtsspezifische Gewalt und ihre Auswirkungen können zu einer Ignoranz beitragen, die Gewaltakzeptanz begünstigt. Eine umfassende Bildung über Geschlechtergleichstellung, gewaltfreie Konfliktlösung und Respekt für alle Menschen ist von entscheidender Bedeutung, um solche Einstellungen zu bekämpfen.

Maßnahmen

Die Verbreitung einer Einstellung, die Gewalt gegen Frauen akzeptiert, hat schwerwiegende Folgen. Frauen werden physisch, emotional und psychisch geschädigt, während die Gesellschaft als Ganzes in Mitleidenschaft gezogen wird. Es ist daher unerlässlich, dass Maßnahmen ergriffen werden, um diese Haltung zu ändern und Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen.

Dazu gehören unter anderem:

  1. Sensibilisierungskampagnen: Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und die Medien sollten sich zusammenschließen, um breit angelegte Sensibilisierungskampagnen durchzuführen, die auf die Ablehnung von Gewalt gegen Frauen abzielen. Es ist wichtig, dass diese Kampagnen Stereotypen herausfordern und positive Veränderungen in der Gesellschaft fördern. Indem man dabei auch in ein kulturelles Gespräch geht, kann Wandel entstehen.
  2. Stärkung von Frauen: Die Stärkung von Frauen und die Förderung ihrer wirtschaftlichen, politischen und sozialen Teilhabe sind entscheidend, um geschlechtsspezifischer Gewalt entgegenzuwirken. Der Zugang zu Bildung, Arbeitsplätzen und Entscheidungsprozessen sollte gefördert werden.
  3. Rechtliche Maßnahmen: Die Strafverfolgung von Gewalttäter:innen muss konsequent und gerecht sein. Gesetze und Richtlinien sollten implementiert und durchgesetzt werden, um Frauen vor Gewalt zu schützen und Täter:innen zur Verantwortung zu ziehen.
  4. Bildungsreformen: Geschlechtergerechte Bildung und Aufklärung über Gewalt gegen Frauen sollten in den Lehrplan integriert werden. Es ist wichtig, dass junge Menschen frühzeitig lernen, Respekt, Gleichberechtigung und gewaltfreie Konfliktlösung zu praktizieren.

Die Umfrage „Spannungsfeld Männlichkeit“ wirft sicherlich wichtige Fragen auf und weist auf mögliche Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Männlichkeitsbild junger Männer in Deutschland hin. Jedoch ist es von größter Bedeutung, solche Ergebnisse kritisch zu betrachten und eine fundierte, umfassende Diskussion zu fördern, die auf weiteren qualitativen und quantitativen Forschungen basiert. Nur so können wir angemessene Maßnahmen entwickeln, um die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern und eine gewaltfreie Gesellschaft für alle zu schaffen.


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