Präsidentschaftswahlen in Polen – Was sie für Europa bedeuten
von CampusCrew Redaktion am 30.06.2025
Nach der Präsidentschaftswahl am 18. Mai, bei der keine absolute Mehrheit erreicht wurde, traten am 1. Juni mehr als 28 Millionen Wähler: innen erneut an, um ihre Stimme abzugeben. Am darauffolgenden Tag wurde das offizielle Wahlergebnis bekannt gegeben.
von Sarah Jedrzejowski
Es ist der 19. Mai, 6:55 Uhr, und Karol Nawrocki ist der neue Präsident Polens – mit einer knappen Mehrheit von 50,89 %. Die Bevölkerung ist gespalten: Während die einen bestürzt sind, vergießen die anderen Freudentränen.
Wer ist er, der neue Präsident Polens und was bedeutet sein Wahlsieg für Europa?
In Polen wird der Präsident alle fünf Jahre durch eine Direktwahl bestimmt, das heißt, jede Bürgerin und jeder Bürger gibt seine Stimme direkt einem Kandidaten. Der neue Präsident konnte die Wahl knapp für sich entscheiden und wird sein Amt am 8. August antreten.
Geboren wurde Nawrocki im Jahr 1983 in Danzig. Er studierte Geschichte sowie ein International MBA-Programm in Strategie, Programm- und Projektmanagement an der Universität Danzig. Nach seiner Ausbildung begann er am Institut für Nationales Gedenken (IPN) in Danzig zu arbeiten und leitete später das regionale Büro für öffentliche Bildung des IPN. Danach wurde er Direktor des Museums des Zweiten Weltkriegs in Danzig und schließlich zum Präsidenten des IPN ernannt.
Bei der Präsidentschaftswahl 2025 trat Nawrocki als unabhängiger Kandidat an, wurde jedoch von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützt. Diese prägte die polnische Politik in den letzten acht Jahren maßgeblich und teilt seine nationalistisch-konservative Ausrichtung.
In seiner Jugend war Karol Nawrocki aktiver Boxer und hat dadurch und durch seine Mitgliedschaft in einem Fußballverein Kontakt Personen, die später öffentlich als „Hooligans“ auftraten. 2009, als er bereits für das IPN arbeitete war er und 140 weitere Fußball-Hooligans verwickelt in eine Schlägerei. Aktuell laufen Untersuchungen gegen ihn, da er während seiner Zeit als Türsteher eines Hotels, mutmaßlich Prostituierte für Hotelgäste eingeschleust haben soll.
Kritisiert wird außerdem, dass er in seiner Funktion als Präsident des IPN zahlreiche Historiker entließ und die freien Direktionsposten mit ehemaligen Box-Kollegen besetze. „Das sind Menschen, die Polen und der Institution des nationalen Gedenkens dienen“, so Nawrocki. Dazu, wie genau das in der Praxis aussehen würde, äußerte er sich nicht.
Ob eine Person, gegen die derartige Anschuldigungen im Raum stehen, ein Land regieren sollte, ist mehr als fraglich. Ebenso bleibt unklar, ob alle Wähler: innen über diese Informationen verfügten, als sie ihm ihre Stimme gaben. Was seine Amtszeit für Polen bringen wird, bleibt abzuwarten. Bereits jetzt stellt sich die berechtigte Frage:
Was bedeutet seine Präsidentschaft für Europa – und damit auch für Deutschland?
Karol Nawrocki befürwortet eine enge Verbindung von Staat und Kirche, lehnt die gleichgeschlechtliche Ehe strikt ab und spricht sich für ein vollständiges Abtreibungsverbot aus. Diese Positionen stehen im Kontrast zu den Grundwerten der Europäischen Union, die sich für Menschenrechte, Gleichheit, Pluralismus, Toleranz, Gerechtigkeit und Solidarität einsetzt. Solange keine menschenrechtswidrigen Maßnahmen ergriffen werden und seine politischen Aussagen im demokratischen Rahmen bleiben, sind diese Ansichten jedoch zu tolerieren.
„Diese Wahl war besonders“, sagte eine Wählerin in einem Interview. „Zwei Kandidaten aus sehr verschiedenen Parteien haben ein knappes Ergebnis erzielt. Sie war wichtig in Bezug auf die Unterstützung der EU und Demokratie.“ Gestimmt hat sie für den liberalen Gegenkandidaten Rafał Trzaskowski. Ein Kandidat, der laut ihr die gespaltene polnische Gesellschaft wieder zusammenbringen könnte – und dabei seinen Mitbürger:innen mit Respekt und Toleranz begegnet.
Immer mehr Länder zeigen Tendenzen zu extremen Positionen. Rechtspopulistische Parteien werden häufiger gewählt, wie man es an den Regierungen Ungarns, Italiens oder Belgiens sieht. Grundsätzlich stellt der Rechtsdruck in vielen Ländern der Europäischen Union immer mehr die Grundwerte der EU in Frage. Werden diese Werte aufgegeben kann das zu politischen Spannungen führen, ebenso wie dem Verlust gemeinsamer Standards.
Auch wird der Zusammenhalt der EU-Länder auf die Probe gestellt: Wenn die eigene Nationale Souveränität über eine gemeinsame europäische Integration gestellt wird, wie gestaltet sich die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten in der Zukunft?
Wählen und Verantwortung übernehmen
“Wählen ist wichtig”, sagt die Wählerin weiter. „Wir sind alle Bürger dieses Landes. Von unseren Entscheidungen hängt ab, in welche Richtung es geht. Wenn wir nicht wählen, wer dann?“ Sie Selbst hat vor über 10 Jahren Polen verlassen und lebt nun mit ihrer Familie in Deutschland. An den Wahlen teilgenommen hat sie trotzdem, mehrere Stunden nach Leipzig ist sie dafür gefahren- das war es ihr wert.
„Jede Stimme zählt – auch deine, unabhängig von deiner politischen Einstellung. Das Argument ‚Meine Stimme bringt nichts‘ sollte man nicht gelten lassen. Engagement gegen Fremdbestimmung und dafür, selbst Initiative zu ergreifen, ist immer von Bedeutung. Solange wir das Recht haben zu wählen, sollten wir es nutzen.“