Spendenaktion der MiE 2022

von am 27.10.2022

von Tilman Voss

Seit inzwischen acht Monaten herrscht Krieg in der Ukraine. Auch wenn das Thema teilweise nicht mehr ganz so prominent in den Nachrichten erscheint, gehen die Kriegshandlungen im Osten Europas unverändert weiter. So ist es weiterhin von großer Bedeutung, dass auf die Situation aufmerksam gemacht wird und Menschen Unterstützung leisten – auch in Form von Spenden. So fand am 26. Oktober eine Charity-Veranstaltung für die Ukraine statt, präsentiert von der Veranstaltungsreihe „Menschen in Europa“ (Mediengruppe Bayern).

In einer Gesprächsrunde im Passauer Medienzentrum diskutierten der ARD-Korrespondent Udo Lielischkies, PNP-Spendenbotschafterin Natalia Yegorova sowie Moderator Alexander Kain, der für den an Corona erkrankten Johannes B. Kerner einsprang, über die derzeitige Situation in der Ukraine, die Ursachen und Folgen des russischen Einmarsches sowie einen möglichen Ausgang des Krieges.

Berichte aus erster Hand

Den Beginn der russischen Invasion am 24. Februar 2022 erlebte Natalia Yegorova in Deutschland. Sie holte eine Freundin vom Flughafen ab, als sie dort auf einem Fernseher die ersten Videoaufnahmen des Krieges sah. „Ich dachte erst, ich sei im falschen Film“, sagt Yegorova heute darüber. Sofort rief sie ihre Mutter in Kiew an und erfuhr, dass die Ukraine seit den Morgenstunden unter Beschuss stand. Nach anfänglichem Galgenhumor schlug die Stimmung in Angst um. Während ihre Familie Nächte im Bunker verbrachte, war Natalia in Deutschland und konnte nur warten: „Jeder Morgen fing mit dem Gedanken ‚Sind alle noch am Leben?‘ an“. Im März konnte ihre Familie schließlich nach Deutschland ausreisen.

Nachdem die Angst sie laut eigenen Angaben zuerst „paralysierte“, entschloss Yegorova sich dann zu helfen, wo immer sie kann. So nahm sie Flüchtlinge auf, begann, auf Benefizabenden zu sprechen und nahm sogar ein eigenes Lied unter dem Namen „Better Day“ auf, dessen Erlöse an eine Initiative zur Unterstützung der Ukraine gespendet werden. Dies helfe ihr durch diese schwere Zeit, sagte sie.

Jeder Morgen fing mit dem Gedanken ‚Sind alle noch am Leben?‘ an. – Natalia Yegorova

Yegorova war 25 Jahre mit dem ehemaligen Profiboxer und heutigen Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko verheiratet. Im Sommer gaben die beiden ihre Trennung bekannt. Trotzdem stehen sie regelmäßig in Kontakt – sie und die gemeinsamen Kinder befinden sich in Deutschland, er ist in Kiew: „Wenn er Unterstützung braucht, bin ich weiterhin für ihn da.“

Nach ihrem Wunsch darf die Unterstützung für die Ukraine nicht aufhören. „Der Krieg darf nicht im Alltag verschwinden“, betonte sie. Jede Unterstützung seitens Deutschland, sei es durch den Staat oder durch andere Akteure, sei immer noch dringend vonnöten.

Mitschuld Deutschlands am Krieg

In dieselbe Kerbe schlug auch Udo Lielischkies. Er forderte überdies auch eine weitere militärische Unterstützung der Ukraine. Deutschland trage laut ihm eine Mitschuld am Ausbruch des Krieges. Rückblickend sei es „seltsam, beinahe unerklärlich“, wie die deutsche Politik so lange die Augen vor Putins wahren Ambitionen verschlossen habe. Man sei Putin nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem verdeckten Überfall auf die Ostukraine 2014 nicht entschlossen genug entgegengetreten: „Wir haben Putin 2014 beigebracht, dass er mit seinem Handeln keine Konsequenzen zu befürchten hat.“ Des Weiteren sollte der deutschen Politik klar werden, dass es „nun an uns liegt“. Die Ukraine habe es verdient, dass man Reden in Handeln umsetze. Yegorova pflichtete ihm bei und betonte: „Jeder hat inzwischen begriffen, dass die Ukraine für ganz Europa kämpft.“

Lielischkies war bis 2018 Leiter des ARD-Studios in Moskau. Bereits 1999 war er dort Korrespondent und erlebte die Machtübernahme Wladimir Putins im Jahr 2000 vor Ort. Er hielt ihn anfangs noch für einen fähigen Politiker, der Russland gut tun könnte – ein schwerer Fehler, wie er betont. Schon in den Tschetschenienkriegen Anfang der 2000er-Jahre habe Putin sein wahres Gesicht gezeigt. „Terror gegen die Zivilbevölkerung war schon damals Teil von Putins Mindset“, fügte Lielischkies hinzu und zog so die Parallele zu den Bombenangriffen auf zivile Ziele in der Ukraine.

Zwei Seiten der russischen Bevölkerung

Überdies sieht Lielischkies auch die Rolle russischer Bürger anders als viele Politiker. Olaf Scholz habe laut ihm Unrecht, wenn er die russische Invasion als „Putins Krieg“ bezeichne – es sei auch ein Krieg Russlands und Teilen der Bevölkerung. Schuld sei laut ihm ein „imperialer Virus“, der sich durch die russische Gesellschaft ziehe. Putin und seine Propaganda würden die erfahrene Demütigung durch den Zerfall der Sowjetunion perfekt ausnutzen, um ihr Handeln zu begründen: „Putin hat einen tief sitzenden Minderwertigkeitskomplex, der auch in der russischen Bevölkerung sitzt“. So seien ihm viele Russen trotz der teilweise katastrophalen Zustände im Land dankbar, dass er es wieder zu einer „stolzen Nation“ geformt habe. Gleichzeitig gebe es aber auch viele Leute, die den Krieg ablehnten und unter anderem deswegen zur Flucht gezwungen wurden. So machte sich Lielischkies vor allem für das Schicksal der aus Russland oder Belarus geflohenen Journalisten stark und warb für ihre Unterstützung.

Ein baldiges Ende des Krieges?

Am Ende blickten die Diskussionsteilnehmer noch in die Zukunft – soweit das aktuell möglich ist. Lielischkies hält den Einsatz einer Nuklearwaffe von russischer Seite für nicht unmöglich. „Man kann bei Putin nichts mehr ausschließen, das ist die traurige Antwort“ – so beschrieb er seinen Gedankengang. Ein Ende des Krieges sei derzeit nicht absehbar, führte er weiter aus. Man könne außerdem nicht voraussagen, wie ein solches Ende ausschauen werde – ob es also zu einem Sturz von Putin und seinem Regime führen werde oder nur zu einem temporären Waffenstillstand beider Parteien. Für ihn sei jedoch klar, dass der Krieg aus westlicher Sicht nur über einen militärischen Sieg der Ukraine entschieden werden könne. Yegorova gab sich ihrerseits kämpferisch. „Wir werden die Ukraine wieder aufbauen“, versprach sie.

Zum Abschluss der Veranstaltung erhielt Yegorova, Schirmherrin der PNP-Weihnachtsaktion „Ein Licht im Advent“ zugunsten ukrainischer Kinder, den Charity-Award von „Menschen in Europa“. In ihrer Dankesrede widmete sie ihn den ukrainischen Frauen, die in Bunkern ausharrten und sich um die Kinder kümmerten, während die Männer in den Krieg mussten. „Sie sind für mich Heldinnen“, sagte sie, bevor sie unter Applaus von der Bühne verabschiedet wurde.


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