Mäuschen spielen beim Familienverfall – „Buddenbrooks“ am Residenztheater

von am 18.12.2023

von Rebecca Preuß

Am Cuvilliéstheater in München erweckt Bastian Kraft Thomas Manns Schlüsselroman zu neuem Leben. Die verworrene Familienchronik verwandelt er in ein lebendiges Bilderbuch.

Die Bühne ist heute ein Fotoalbum. In überdimensionalen Bilderrahmen, aufgetürmt wie eine Wand, zeigt sich Familie Buddenbrook von ihrer besten Seite. Auf einer der Projektionen zu sehen sind der Konsul Johann Buddenbrook und seine Frau Elisabeth. Gemeinsam mit ihren erwachsenen Kindern Thomas, Antonie und Christian posieren sie für das Familienportrait. Begleiten wird uns durch die Chronik des Niedergangs seiner Familie ihr jüngstes und letztes Mitglied, Thomas‘ Sohn Hanno.

Buddenbrook, dieser Name hat in Lübeck Gewicht. In vierter Generation verwaltet Thomas nach dem plötzlichen Tod seines Vaters das Erbe der Kaufmannsfamilie, die sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert im Getreidehandel etabliert hat. Hier geht es um Geld, um Macht, um Anerkennung – sprich: alles wie immer. Das unübersichtliche Figurengewirr aus Manns über 750 Seiten langen Debütroman verknappt Kraft in seiner Inszenierung für das Münchner Residenztheater aufs Wesentliche. Die meiste Zeit über haben wir es mit den drei Geschwistern, ihrer Mutter und dem anachronistischen Erzähler zu tun.

Das neue Familienoberhaupt ist fleißig, klug und nimmt sich seinen Aufgaben stets mit Ernsthaftigkeit an. Der Lebensstil seines umtriebigen jüngeren Bruders Christian ist Thomas zuwider. Antonie fällt indes vor allem durch ihre Liebe zum Luxus und der Bewunderung für den Adel auf. Die Buddenbrook’sche Familienchronik, die eigentliche Protagonistin des Abends, bewegt meist Hanno durch den Bühnenraum. Einmal liest er, dann werden neue Vermerke gemacht. Rückt das braune, schwere Buch in den Fokus, folgen ihm besonders die wachenden Augen der Portraitierten. Seit vier Generationen verzeichnet die stolze Familie hierin Gedeih und Verderben.

So folgen wir Antonie durch ihre erste und zweite Ehe und Scheidung, Christian beim Auswandern, Zurückkehren, Selbstständig werden und Firma liquidieren und Thomas, wie er einen Sohn bekommt, zu dem er keinen Zugang findet, und schließlich an allen Erwartungen scheitert. Das Ensemble illustriert die Dynamik einer sich selbst zugrunde richtenden Familie, die an mangelnder Akzeptanz für das Individuelle verendet. Nicht erlebbar macht es einen Zoom näher an die inneren Konflikte der Charaktere, die eben bloß den Blick auf ihre Kämpfe untereinander freilegen. Auch eine Vergrößerung der Ansicht auf den gesellschaftlichen Rahmen des Aufstiegs und Niedergangs dieser Familie, die ihre Geschicke zwischen Leistungsgesellschaft, interfamiliären Rivalitäten und sozialer Ächtung zu leiten versucht, wird nicht vorgenommen.

Bastian Krafts multimedialer Theaterabend zeigt Manns detailverliebten Gesellschaftsroman als kurzweilige Familientragödie. Besonders ohne Lektürekenntnis bekommt man hier zweieinhalb Stunden lang Freude am Mäuschen spielen. Nachhall, der ein andermal aus dem Theater trägt, bleibt heute aus.


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