„Use Your Illusion, let it take you where it may“
von Campus Crew Redaktion am 07.12.2022
Guns N’ Roses sind zurück: Die Band um Leadsänger W. Axl Rose, die die 80er und 90er-Jahre mit altmodischem Hard-Rock eroberte, haucht ihren gleichzeitig am 17. September 1991 erschienenen Alben Use Your Illusion I & II, in einer ausufernden, „Super Deluxe“ genannten XXL-Version, neues Leben ein.
von Leo Greinwald
Use Your Illusion ist ein geradezu gewaltiges Werk. 30 Songs, verteilt auf zwei gleichzeitig erschienenen Alben, verursachten 1991 einen riesigen Run auf alle Plattenläden. Es ist die bei weitem vielfältigste und meistdiskutierteste Arbeit von Guns N‘ Roses; zeitlose Klassiker, darunter die donnernde Ballade November Rain, oder das Bob-Dylan-Cover Knockin‘ on Heaven’s Door, wechseln sich ab mit totalem Unsinn wie der Schimpftirade Get in the Ring, oder dem seltsamen Industrial-Rap My World. Die Illusion-Alben verkörpern den Größenwahn einer Band, die sich dauerhaft auf dem schmalen Grat zwischen musikalischem Weltruhm und Drogen-induziertem Exzess bewegte.
Doch jetzt wird es noch ein Stück maßloser: Am 11. November, mit einjähriger Verspätung zum Geburtstag der originalen Werke, erschien eine Neufassung der beiden Alben, nun in einem einzigen Bündel. Das Ergebnis hört auf den Namen Use Your Illusion (Super Deluxe). Die Eckdaten des Albums sind heftig: fast siebeneinhalb Stunden Musik, über 70 Songs, darunter die beiden Originalalben komplett digital überarbeitet, sowie Aufnahmen zweier Livekonzerte, eines in New York 1991 und das Zweite in Las Vegas 1992. Ist dieses Album nun eine Wiederauferstehung des guten, alten Hard-Rocks oder nur der Versuch, mit wiederaufbereitetem Material Geld zu verdienen?
Auch ein großes Orchester bringt keine Veränderung
Den ersten Teil der Super Deluxe-Version stellen die neu gemasterten Songs der originalen Alben dar. Und hier fällt sofort auf: Wer eine neuartige, klangliche Offenbarung erwartet, wird enttäuscht. Die Remastered-Versionen der Lieder unterscheiden sich vom jeweiligen Original meist nur in Nuancen, der Sound wird etwas akzentuierter und Stille, die am Ende einiger Songs entsteht, wird gerade bei längeren Tracks gekürzt. Nur November Rain, welches für das Album in einer 2022 Version neu aufgenommen wurde, nimmt eine Sonderstellung ein. Aber auch hier sind die Veränderungen im Vergleich zum Original kaum hörbar, obwohl das Lied mit 50-köpfigem Orchester neu eingespielt wurde. Ein Highlight stellt der Song Locomotive (Complicity) auf Use Your Illusion II dar, welcher nach der digitalen Auffrischung nun noch klarer und geschliffener daherkommt. Das nahezu neunminütige und äußerst selten live gespielte Stück, zählt musikalisch zu Guns N‘ Roses‘ besten Arbeiten. Über die bedrohlich hämmernden Drums zaubert Leadgitarrist Slash ein komplexes Solo nach dem anderen, während Sänger Axl Rose eine in die Brüche gehende Beziehung mit zynischer Wut verarbeitet. Der oft übersehene Track kommt in dieser Neufassung nun voll zur Geltung. Ansonsten sind die Veränderungen an den neuen Songs winzig, was sie neben den ursprünglichen Versionen von 1991 fast schon in die Bedeutungslosigkeit verdrängt.
In New York nichts Neues
Vielleicht haben die Live-Konzerte mehr zu bieten. Das Erste fand im Mai 1991 in New York statt, damit noch vor Release der Illusion-Alben, viele Songs wurden hier zum ersten Mal öffentlich. Guns N‘ Roses geben sich über die gesamte Laufzeit des ca. zwei Stunden langen Gigs keine Blöße: Mit Pretty Tied Up stampft die Rockmaschine gleich fulminant drauflos und verliert über die ganze Setlist nicht an Tempo. Neben bis zu diesem Zeitpunkt noch unveröffentlichtem Material wie Dust N‘ Bones und Don’t Cry, sowie Evergreens aus früheren Platten wie Patience oder Paradise City gibt die Bands auch ein paar Cover zum Besten, unter anderem das auf der neuen Super Deluxe-Version zum ersten Mal zu findende Alice Cooper-Cover Only Women Bleed. Das Konzert endet mit den Welthits Sweet Child O’Mine und Welcome To The Jungle. Insgesamt eine grundsolide Show in toller Tonqualität. Die Konzertgänger fuhren an diesem Abend sicher glücklich nach Hause, beim Hörer des neuen Albums macht sich jedoch spätestens jetzt ein seltsames Gefühl breit, da er nach mittlerweile fast fünf Stunden Spieldauer immer noch quasi nichts Neues gehört hat.
Spätestens bei Double Talkin‘ Jive bebte Las Vegas
In der zweiten Show vom 25. Januar 1992 bringen Guns N‘ Roses mit 27 Songs Las Vegas zum Kochen. Axl Roses‘ Stimme verliert über die gesamte Dauer nichts von ihrer animalischen Kraft (im Gegensatz zu seinen Mickey-Mouse-Performances von heute) und auch die anderen Musiker peitschen mit ungezähmter Lautstärke und Energie durch das Set. Die Darbietungen von November Rain und Knockin‘ On Heaven’s Door sind geradezu pompös, wobei letzterer Song von frenetischen Fan-Gesängen untermalt wird. Ein absoluter Höhepunkt des Konzerts ist jedoch die schier endlos in die Länge gezogene Version von Double Talkin‘ Jive, ein Klassiker des Live-Repertoires der Band. Ein unheilvoll anschwellendes Intro aus Gitarren und Schlagwerk führt zum eigentlichen Song, welcher schließlich in Slash’s virtuosen Arpeggios und einem verzerrt dahinfließenden Blues mündet. Das große Konzert in Las Vegas verdeutlicht, was die Super Deluxe-Edition zelebrieren will: Die Genialität von Guns N‘ Roses als Live-Band.
Genialer Live-Sound, fragwürdiges Gesamtkonzept
Use Your Illusion (Super Deluxe) ist ein echtes Hörerlebnis. Die im Studio aufgenommenen Songs klingen nun völlig zeitgemäß, die beiden Konzerte sind dank der herausragenden Soundqualität ein akustisches Fest. Als der letzte Song jedoch verklingt, lässt das Album den Hörer ausgelaugt und ratlos zurück: die als „unveröffentlicht“ angepriesenen Tracks entpuppen sich lediglich als bekanntes Live-Material, das es bisher nicht auf ein Album schaffte. Keine bis dato nie gehörten Demoversionen oder im Studio verbliebene Schätze. Außerdem ist Guns N‘ Roses, zum Teil mit Originalbesetzung, schon seit 2016 wieder gemeinsam unterwegs und spricht offen darüber, im Studio neue Songs aufzunehmen. Zumindest ein kleiner Teaser darauf würde Fans weltweit in Ekstase versetzen. Stattdessen gibt es Aufnahmen zweier Liveshows und digital wiederaufbereitete Lieder, welche alle Fans, die das Album hören oder sogar kaufen würden, sowieso in- und auswendig können. Analog kommt das Super Deluxe-Album in mehreren Versionen, unter anderem in einer 7CD-Edition für 270 Euro sowie einer 12LP-Version, welche für den horrenden Preis von 499 Euro angeboten wird. Beide beinhalten neben einem bildgewaltigen Booklet, Postern und haufenweise Merchandise auch eine BluRay-Disc mit weiterem Live-Material. Angesichts der abnormen Preise werden sich aber auch Hardcore-Fans überlegen, ob sie dieses Album nun wirklich brauchen. So lässt sich festhalten, dass diese monströse Neuauflage von Use Your Illusion zwar klanglich überzeugt, den Beigeschmack einer nur aus finanziellen Gründen entstandenen Gelddruckmaschine aber nie ganz loswird.
Bewertung: 3,3/5