Privilegien

von am 19.11.2023

In Agona Swedru, einer Kleinstadt in Ghana, habe ich im Jahrgang 2022/ 2023 einen 12-monatigen Freiwilligendienst als Assistenzlehrkraft absolviert. Das Programm, mit dem ich dort war, heißt Weltwärts und es ist größtenteils vom Bund finanziert. Wegen der Herausforderungen, vor die mich das Leben in Ghana oft gestellt hat, kam mir mein Freiwilligendienst manchmal wie eine große Resilienzprobe vor. Durch die Freiheiten und Chancen, die mit dem Dienst verbunden waren, ist die Teilnahme auf jeden Fall auch ein riesiges Privileg. Einige Gedanken dazu habe ich im unten stehenden Text verarbeitet.

Von Ria Reinermann

 

Wie jeden Morgen grüßt mich die nette Dame am Eck und ich grüße zurück. Oft führen wir Small Talk und fast immer ruft sie mir am Ende noch in ihrem Pidgin-English hinterher: “Take me go, don’t fail me ooh”. Damit meint sie, dass sie mit mir nach Deutschland kommen möchte, wenn ich gehe. Sie macht viele Scherze und darin ist sie auch sehr gut. Hinter diesem hier steht jedoch potenziell viel Unangenehmes: möglicherweise Frust auf das eigene Land, die Sehnsucht nach etwas mehr (finanzieller) Freiheit und die Illusion, dass in Deutschland alles automatisch einfacher für sie wird. -“Of course I will, in my suitcase…!” rufe ich dann immer zurück. Schweigend denke ich dann manchmal daran, dass ein Großteil meines Umfelds in Deutschland zumindest theoretisch mal eben das Geld für einen Flug in ein anderes Land locker machen könnte. Irgendetwas steht zwischen uns und ich habe das Gefühl, es sind meine Privilegien.

Meine Standardstrecke mit dem Kleinbus, dem ghanaischen Öffi-Equivalent sozusagen, ist das nächste Beispiel. An fünf von fünf Wochentagen möchte ich die Fahrt wie alle anderen mit fünf Cedi bezahlen. Und an fünf von fünf Tagen wird mir von dem, der das Geld einsammelt, ins Gesicht gelogen, dass der Preis sechs Cedi sind. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein (übrigens nicht nur bei Buspreisen) von Weißen mehr Geld zu verlangen. Trotz der Tatsache, dass es sich hierbei für mich lediglich um 50 bzw. 60 Cent handelt, finde ich die Situation auf einer persönlichen Ebene unfair. Irgendetwas steht zwischen uns und dieser eine Cedi bekommt auf einmal eine ziemlich große symbolische Bedeutung.
Das sind zwei typische Situationen in Ghana, es gibt allerdings mindestens genauso viele lustige und harmonische Begegnungen mit Ghanaern, die keine solche diffusen Gedanken verursachen. Trotzdem, das Thema lässt mich nicht ganz in Ruhe. An manchen Tagen überkommt mich das Gefühl, hier fehl am Platz zu sein, die Ungerechtigkeit in dieser Welt mit meinem Aufenthalt hier buchstäblich zu verkörpern. An vielen anderen sehe ich klar vor mir, dass dieser Freiwilligendienst ein Inbegriff dessen sein soll, was es heißt, verantwortungsvoll mit den eigenen Privilegien umzugehen. Andere gezielt auch profitieren zu lassen. Die Arbeit in der Schule, die Zeit und Geduld, die ich den Kindern entgegenbringen kann, sind dafür perfekte Beispiele.

An die nette Dame am Eck werde ich Mitte August denken und sie vielleicht an mich, denn dann sitze ich im Flieger und mit mir der volle Koffer. Wohlgemerkt ohne die nette Dame drin, stattdessen gefüllt mit ein paar von den ghanaischen Stoffen, ein paar Flaschen von dem guten lokalen Bier und anderen Mitbringseln. Paradox ist das, aber diese Paradoxie gehört wahrscheinlich so sehr zu diesem Freiwilligendienst dazu, wie ein paar Probierflaschen von dem ghanaischen Bier am Ende in meinem Koffer mit nach Hause gehören.


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